Demütigung
Ich habe dieses Jahr im Sommer mein Referendariat für Gymnasiallehramt am Studienseminar in Wilhelmshaven abgeschlossen und kann definitiv sagen, dass es für mich die prägendste Zeit meines Lebens war - sowohl mental als auch körperlich. Gerne teile ich eine meiner einschneidendsten Erfahrungen mit euch, die mir im Nachgang betrachtet wirklich nochmal verdeutlicht hat, wie krank und belastend diese Ausbildung bzw. die Fachleiter*innen im Umgang mit uns Lernenden waren.Im Januar habe ich meine letzten UB's durchgezogen und musste gleichzeitig durch eine schwierige Phase in der Familie gehen. Meine Schwester hatte in diesem Zeitraum bereits das zweite Mal einen Suizidversuch begangen und die ganze Familie litt darunter. Ich dachte mir damals, dass ich jetzt schon so weit gekommen war und ich mich von diesen Dingen, egal wie wichtig sie doch sind, nicht ablenken lassen durfte. Also ließ ich mich trotz Schlafstörungen und vielem Weinen nicht krankschreiben und ging an dem einen Tag in den UB, wo nicht nur meine eine Fachleiterin, sondern auch mein Pädagoge gleichzeitig zu Besuch kamen. Der UB lief entsprechend schlecht und ich fing in meiner Reflexion auch gleich damit an, dass mir bewusst ist, an welchen Stellen es hätte besser laufen können. Anschliessend legte meine Fachleiterin los: es kamen die typischen Kommentare dazu, dass die Stunde nicht nur sinnfrei sondern auch ziellos war und dass ich mich bis zu meinem PU definitiv anders entwickeln müsste. Dann passierte etwas, was ich das ganze Ref über immer zurückgehalten hatte. Die ganze Wut und Trauer, die auch aufgrund meiner familiären Situation zusammenkamen, fielen über mich her und ich fing an zu weinen. Mein Pädagoge war in erster Linie emphatisch und fragte, wie er mir helfen könnte und woran es liegt. Ich öffnete mich und erzählte, dass in der Familie gerade etwas Schlimmes passiert war und ich mit diesem Druck gerade schlecht umgehen konnte.
Meine Fachleiterin, die währenddessen ihre Mappe sortierte, schaute mich nur an und fragte: „Wenn Sie sich gerade etwas wegwünschen könnten, was ihre Situation erleichtert, was wäre das?" Ich musste kurz überlegen und meinte dann: „Höchstwahrscheinlich gerade die Sorge in der Familie." Daraufhin kam von ihr folgender Tipp: „Na, dann ist es doch ganz einfach. Denken Sie nicht mehr daran und konzentrieren Sie sich auf die Prüfung. Das ist wichtiger. Ich würde vorschlagen, wir machen hier jetzt auch einen Cut. Wir sind schon über der Zeit." Mein Pädagoge hat nichts dazu gesagt und meine Tränen sind schneller getrocknet, als ich denken konnte.
Ich habe mich nach ihrer Aussage gedemütigt gefühlt, weil ich mich geöffnet hatte. Ich bereue bis heute sehr, dass ich Gefühle gezeigt habe. Das hat meine Grundeinstellung noch einmal sehr verändert und den Rest der Zeit erschwert, weil ich wusste, dass ich dort auf kein Verständnis stoße.
Das war eine der vielen Situationen, die mir sofort einfallen, wenn ich an die Zeit zurückdenke, was ich sehr ungern mache. Das Ganze ähnelt nämlich schon einem Trauma.
—2023, Studienseminar gym. Lehramt Wilhelmshaven