Macht
Gut zwanzig Jahre ist meine Ausbildung jetzt her, aber ich kann heute noch sagen, dass es die schlimmsten zwei Jahre meines Lebens waren, die mich noch heute oft verfolgen. Ja, es gab und gibt auch gute, sozial kompetente, realistische, effektiv beratende Ausbilder, aber eben auch die selbstherrlichen, eitlen Gecken, mit menschlichen Defiziten, denen man in diesem System -wie kaum woanders- ausgeliefert ist. Keine Frage: Das Referendariat ist anstrengend, ein neuer Schritt, man muss Kritik ertragen können und belastbar sein. Aber die Ausbildung in meinem Seminar war seinerzeit für viele schlichtweg demotivierend und ein ständiger Psycho-Druck. Irgendwie schien das System zu haben. Oder das System lockte bestimmte Leute an.Die erste Fachsitzung eröffnete ein Ausbilder damals mit den Worten „Ich wünsche Ihnen viel Glück" um dann den gleichermaßen verstörenden wie entlarvenden Nachsatz „Sie werden es brauchen" hinterherzuschieben. Ironischerweise haben Macht und Glück Parallelen. Glück ist zufällig, unberechenbar. Dem Glück ist man ausgeliefert, genauso wie der Macht. Es gab Verrisse von Entwürfen, die nur zerstörerisch waren. Es gab Stunden, bei denen jede Kleinigkeit zum Makel erhoben wurde und die Motivation völlig verloren ging. Es gab Unterrichtsbesprechungen, in denen Methoden kritisiert wurden, die Wochen zuvor Anerkennung fanden. Wir haben uns als Referendare manchmal gefragt, ob hinter dieser Schleiferei ein tieferer Sinn steckt. Wollte man nur die psychische Stabilität prüfen. Wollte man sehen, wer hinschmeißt, weil er den Job nicht um jeden Preis will? Glaubte man wirklich, dass man so gut ausbildet? Wir verstanden es nicht.
Nie wieder habe ich auch erlebt, wie Macht Leute zum Schweigen bringen kann. Ein Fachleiter kam damals bei einer Evaluation der Referendare zu ihrer Ausbildungssituation schlecht weg. Vielen waren die Kriterien für guten Unterricht nicht klar, Stunden wurden oft intransparent und ohne nachvollziehbaren Grund verrissen. Aber statt sich als Ausbilder damit konstruktiv auseinanderzusetzen, gab es im Fachseminar eine Publikumsbeschimpfung: Wie denn Referendare zu solchen Urteilen kämen? Was das denn für Fragen gewesen seien? Er wisse, was er könne und was nicht etc. Ein minutenlanger Sermon, eine Philipika. Dann Stille - wer der Anwesenden würde sich trauen, dagegen etwas zu sagen? Wer würde sagen: „Lieber xxx so ist aber nun die Meinung vieler, müssten Sie sich nicht damit auseinandersetzen?" Natürlich sagte keiner etwas. Man wusste, dass es um die berufliche Zukunft geht, die weitgehend von dieser einen Person abhängt. Wir alle schwiegen, wir alle fürchteten zu Recht Nachteile.
—2002, Studienseminar gym. Lehramt Celle